Die wahren Gründe der Krise

Vergangene Woche habe ich an einer Unternehmertagung in Münster teilgenommen, die sich mit den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise auseinandersetzte. Das Fazit war eindeutig: Noch sind die richtigen Lehren nicht gezogen worden, eine Weiterentwicklung unternehmensethischer Ansätze ist dringend geboten.
Daher werden wir hier in loser Folge über neue Entwicklungen informieren. Doch starten wollen wir mit einem Blick zurück.
Auszug aus: Geldanlagen unter den Aspekten christlicher Ethik © Pater Dr. Eckhard Bieger und Stefan Drägert
Kapitel 1: Der verführbare Mensch oder die wirklichen Ursachen der Finanzkrise
Inzwischen wurde viel über die Ursachen der Krise geschrieben. Meistens in Verbindung mit einer Zustandsbeschreibung über unser Banken- und Finanzsystem und dann fast immer in einer Mischung aus Wut und Resignation, über das nicht nachvollziehbare Verhalten einzelner Manager und das kollektive Versagen der Verantwortungsträger aus Wirtschaft und Politik. Viel seltener wurde versucht, über einen medialen Aufschrei hinaus eine konstruktive Analyse der Vorgänge vorzunehmen. Sehr rar sind die Versuche eine solche Analyse in erfolgversprechende Vorschläge oder gar in ein Konzept für einen Weg hinaus aus der Krise münden zu lassen. Fast alle Konzepte, die von unseren Politikern oder unserer Wirtschaftselite erarbeitet worden sind, kurieren nur an den Symptomen und taugen nicht dafür uns nachhaltig auf Erfolgskurs zu bringen. Doch warum ist das so? An den intellektuellen Fähigkeiten unserer Führungskräfte kann es wohl kaum gelegen haben. Schließlich waren viele Finanzprodukte so komplex aufgebaut, dass nur kluge Köpfe sie erdacht haben konnten und letztendlich in einer Weise miteinander verwoben, dass sie sogar von Aufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfern nicht mehr vollständig durchdrungen, geschweige denn richtig bewertet werden konnten.
Richtungsweisende Konzepte zur Bewältigung der Krise wurden bisher nicht gefunden, weil alle Lösungsansätze systemimmanent sind und lediglich von einer globalen Finanzkrise ausgehen, die sich in letzter Konsequenz zu einer Krise der gesamten Wirtschaft auszuweiten drohte. Legt man diese Prämisse zugrunde, waren die eingeleiteten Schritte richtig, nämlich die konsequente Sozialisierung der Verluste systemrelevanter Banken - immerhin wurden weltweit mehr als fünf Billionen Euro zur Stützung dieser Banken ausgegeben. Gleiches gilt für den Versuch, das Bankensystem durch noch mehr Kontrollen und höhere Eigenkapitalquoten für riskante Finanzgeschäfte sicherer zu machen und das Vergütungssystem für Manager, insbesondere die variablen Anteile der Vergütung, so zu verändern, dass es nicht mehr an einen kurzfristigen Unternehmenserfolg ausgerichtet wird. Aber sind dies wirklich die bahnbrechenden Schritte zum Aufbruch in eine prosperierende Volkswirtschaft? Alle diese Ansätze gehen in die richtige Richtung, greifen aber insgesamt zu kurz, weil diese Krise weit über eine Finanz- oder Wirtschaftskrise hinausgeht. Wir befinden uns nicht in dieser Situation, weil es an adäquaten Vorschriften oder Verhaltensempfehlungen mangelte. Der deutsche Corporate Governance Kodex, immerhin seit 2002 in Kraft und gerade aktualisiert, wurde eingeführt, »...um so das Vertrauen in die Unternehmensführung deutscher Gesellschaften zu stärken.« Er enthält umfangreiche Vorschriften für Vorstand, Aufsichtsrat und Abschlussprüfer, regelt die Zusammenarbeit zwischen den Organen und verpflichtet sie zur Transparenz und Wahrung der Unternehmensinteressen. Es ist schlichtweg naiv anzunehmen, mit ein paar zusätzlichen Regelungen sei der Krise beizukommen. Wirtschaft und Politik haben schon bisher einen Rahmen für die Teilnahme am Wirtschaftsverkehr geschaffen, der solche Auswüchse, wie wir sie jüngst erleben mussten, verhindern könnte.
Nicht nur das Bankensystem oder die Wirtschaft stecken in einer Krise, sondern die Gesellschaft selbst. Es hat eine Hinwendung zum kurzfristigen Profit gegeben, wie sie bisher beispiellos in der Wirtschaftsgeschichte ist. Wir reden hier nicht über Spekulanten, die auf der Suche nach dem schnellen Profit Aktien kaufen, um sie nach kurzer Zeit mit einem ansehnlichen Gewinn wieder zu veräußern. Es geht nicht nur um diejenigen, die so sehr von steigenden Kursen überzeugt sind, dass sie sich hoch verschulden, um ein möglichst großes Rad zu drehen. Dies war der Auslöser der Krise in den 30iger Jahren des letzen Jahrhunderts. Wir reden heute von den Erwartungen des Kapitalmarkts, der sich neben vielen institutionellen Anlegern, also Rentenfonds und Versicherungen, aus unzähligen Kleinanlegern zusammensetzt. Alle erwarten von den notierten Gesellschaften hohe Gewinne, zweistellige Wachstumsraten, am besten pro Quartal und am Ende des Jahres eine hohe Dividende. Anstelle einer langfristigen Perspektive zählt der schnelle Euro. Gesellschaften, die dies nicht mitmachen, werden abgestraft, indem ihre Aktien abgestoßen werden. Dieser Druck hat dazu geführt, dass Unternehmen höhere Risiken eingegangen sind, um die geforderten Wachstumsraten zu liefern. Selbst die Deutsche Bank hat sich diesem Druck ergeben und als Unternehmensziel eine jährliche Eigenkapitalrendite von 25% ausgerufen. Ein prominentes Beispiel dieser Erfolgsdrucks für schnelle Lösungen ist die Insolvenz von Arcandor. Die dringend notwendige Modernisierung der Warenbewirtschaftung wurde nicht angegangen, weil dies zu viel Zeit in Anspruch genommen hätte. Stattdessen wurden die Immobilien an Fonds verkauft und für teueres Geld zurückgemietet. Dies steigerte kurzfristig den Profit und damit den Aktienkurs des Unternehmens. Alle waren glücklich. In letzter Konsequenz war diese Entscheidung der Sargnagel des Unternehmens. Es liegt also an uns, diese Fehlentwicklungen zu korrigieren und auf eine gesunde und nachhaltige Entwicklung von Unternehmen zu setzen.
Daher haben neben Wirtschaft und Politik auch die beiden großen Volkskirchen Versuche unternommen, die Herausforderungen der Krise anzunehmen und Schritte zu ihrer Bewältigung zu definieren. Leider bleibt die EKD-Analyse an vielen Stellen ähnlich im System gefangen, wie die aus Wirtschaft und Politik. Als Ursache für die Krise wurde ein Mangel an Verantwortung im Umgang mit Risiken genannt. Im Wesentlichen hat auch die EKD eine wirksamere Aufsicht und eine klare Regulierung der Finanzmärkte sowie Konjunkturprogramme als Königsweg ausgemacht. Darüber hinaussollen globale Institutionen wie UNO, IWF und Weltbank mit größeren Einflussmöglichkeiten ausgestattet werden, um den Herausforderungen der Globalisierung besser begegnen zu können. Auch Papst Benedikt XVI. kommt in seiner Enzyklika »Caritas in veritate« zu ähnlichen Vorschlägen, allerdings geht die Enzyklika weiter als alle anderen Stellungnahmen. Als einzige benennt sie die wirklichen Gründe für die Krise und weist einen Weg hinaus, indem sie eine Definition eines gesunden Gewinnstrebens liefert: „ ... Gewinn ist nützlich, wenn er in seiner Eigenschaft als Mittel einem Zweck zugeordnet ist, welcher der Art und Weise seiner Erlangung ebenso wie der seiner Verwendung einen Sinn verleiht. Die ausschließliche Ausrichtung auf Gewinn läuft, wenn dieser auf ungute Weise erzielt wird und sein Endzweck nicht das Allgemeinwohl ist, Gefahr, Vermögen zu zerstören und Armut zu schaffen.“
Es geht nicht um eine pauschale Verurteilung wirtschaftlicher Mechanismen. Weder die Globalisierung noch die Verschachtellung von Finanzinstrumenten oder die Gewährung von Subprime-Hypothekendarlehen haben für sich genommen das Potenzial eine Krise dieses Ausmaßes auszulösen, allenfalls sind sie Teilaspekte. Alle Punkte haben ihre Berechtigung in einer modernen Wirtschaft und sind per se weder negativ noch unmoralisch. Auch das Streben nach Gewinnen ist nicht unmoralisch, im Gegenteil. Nur wenn Unternehmen Gewinne machen, können sie investieren und Arbeitsplätze schaffen und dadurch mit zum allgemeinen Wohlstand beitragen. Einzig und allein entscheidend ist, was der Mensch daraus macht. Erst die Art des Einsatzes oder die Ausgestaltung entscheidet über die Qualität, über Nutzen und Schaden. Die kompromisslose Ausrichtung auf den kurzfristigen Profit führte in diese Krise und muss überwunden werden. Das internationale Finanzsystem ist inzwischen so komplex, dass der Princeton-Ökonomen Harold James anlässlich des jüngsten G 20 Gipfels sagte: „Das Design einer neuen Finanzarchitektur ist komplex und zeitraubend und eignet sich schlecht für globale Konferenzen.“ Gerade deshalb darf die Reform nicht bei einzelnen Banken und Finanzdienstleistern aufhören, der Kapitalmarkt selbst muss reformiert werden. Am schnellsten und effektivsten wird dies an der Basis geschehen können, also bei dem Kapitalanleger selbst. Durch seine Anlageentscheidung kann er in sehr kurze Zeit neue Standards durchsetzen, schneller als Politik und Manager es jemals tun könnten.
Vor diesem Hintergrund haben wir versucht, Kriterien für nachhaltige Anlageentscheidungen auf der Basis christlicher Ethik zu definieren, die helfen Krisen wie diese zukünftig zu verhindern...
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